Was ist der Sinn der Polizei? Gewährleisten der Sicherheit! Warum diese spontane Antwort als tiefster Sinn, als Purpose für „das Unternehmen“ Polizei nicht ausreicht, beschreibe ich in diesem Artikel.
Bedeutung des Sinns der Arbeit
Wer sich mit dem Thema Führung Generationen beschäftigt, der stolpert früher oder später über die Schlagwörter „Purpose“ oder „Sinn der Arbeit“. Die Generation Y ( Geburtsjahrgang 1980 -1995), war nicht nur der Nachfolger der Generation X, sondern sie hatte auch den Beinamen „Why“ (abgeleitet von der Aussprache des Buchstaben im Englischen). Und diese Benennung „Why“ kam daher, weil diese Generation in der Arbeit oft nach dem Warum, also dem Sinn einer Tätigkeit gefragt hatte. Das Erleben von Sinnerfüllung in der Arbeit hatte für sie besondere Bedeutung.
Mal abgesehen von den Unschärfen des Generationsbegriffs und dem empirisch kaum zu führenden Nachweis, dass eine bestimmte Generation auf einmal diametral andere Bedürfnisse hervorbringt, zeigt die Forschung schon seit den 1970er Jahren, wie motivierend es ist, den tieferen Sinn seiner Arbeit zu erkennen. Und auch für die Generation Z hat dieses Sinnerleben besondere Bedeutung. Wer als Arbeitgeber einen attraktiven „Purpose“ vorweisen kann, ist auch ein attraktiver Arbeitgeber – für alle Generationen. Es ist aber fraglich, ob „wir“ als Polizei unseren Sinn bereits wirklich zu Ende gedacht, ausdefiniert und vor allem publik gemacht haben.
Ich komme mit meinen Vorträgen zur Generation Z viel im deutschsprachigen Raum herum, bin bei vielen Polizeien, aber auch bei Unternehmen oder Non-Profit Organisationen zu Gast. Bei den Polizeibehörden ist eines feststellbar: Einige haben sich werteorientierte Führung auf die Fahnen geschrieben und wirklich großartige Wertekonzepte erarbeitet. Manche leider noch nicht, dabei ist das für die junge (und auch die ältere) Generation besonders wichtig. Denn mit den richtigen und zeitgemäßen Werten man kann sich identifizieren, mit ihnen argumentieren – und dies nicht nur nach „unten“, sondern eben auch nach „oben“. An Werte müssen sich in der Organisation alle halten!
Der Golden Circle
Ein gedanklicher Ausgangspunkt dieses Artikels ist der „Golden Circle“ von Simon Sinek, mit dem das Why = warum? How = wie? What = was? eines Unternehmens beschrieben wird. In seinem Buch „Start with Why“ beschreibt er, wie erfolgreiche Organisationen ihr Handeln konsequent an ihrem „Why“ orientieren und hat seinem Ansatz das Denken über Führung nachhaltig geprägt.
Der Purpose der Polizei
Und damit zu des Pudels Kern: Wenn ich nach dem „Purpose“, dem „warum“ frage, also welchen Sinn die Polizeiarbeit denn eigentlich hat, bekomme ich in aller Regel die Antwort: „Na das ist doch ganz einfach: Wir gewährleisten Sicherheit!“ Doch ganz ehrlich: Das erscheint mir zu kurz gesprungen. Die Sicherheit gewährleisten auch die Polizeien in Russland, Belarus und Nordkorea. Das kann doch nicht unser letztlicher, tiefster „Unternehmenszweck“ sein. Deswegen sollten wir uns intensiver Gedanken machen, was unser tiefster Markenkern ist, der eben auch prägt was wir tun und wie wir es tun.
Ich definiere unseren Purpose (den der Polizei) deswegen viel weitergehender als „nur“ Sicherheit gewährleisten: Wir sind ein Anker der Demokratie in unserer Gesellschaft: Das ist unser tiefster, letztbegründender Unternehmenssinn. Und diese Verankerung schaffen wir unter anderem dadurch, dass wir auch die Sicherheit gewährleisten. Aber eben auch die Freiheit der Bürger*innen garantieren. Indem wir demokratische Prinzipien leben, wie Transparenz und Rechenschaft. Indem wir die Grundrechte schützen.
Werte
Die nächste Ebene ist das „Wie“. Wie wollen wir unsere Ziele erreichen und damit den Zweck unseren Purpose erfüllen? Hier kommen nun die Werte in Spiel: Zum Beispiel durch Respekt, Professionalität, Kollegialität, Hilfsbereitschaft, Wertschätzung, Vertrauen, Zuverlässigkeit (Werte der Polizei Hessen). Oder Offenheit, Transparenz, Verantwortung, Vertrauen und Wertschätzung (Unternehmenswerte von BMW). Alles Werte, die ich in unserem Kontext auch sehr passend finde, ich würde sie noch mit Menschlichkeit und Tapferkeit ergänzen.
Was wir tun
Die nächste Schicht des Golden Circle ist das „Was“. Was tun wir, um unsere Ziele und damit den Zweck zu erreichen:
Hier erst kommt die Sicherheit ins Spiel, die wir gewährleisten. Wir sorgen aber auch dafür, dass die Menschen in Freiheit leben können. Wir schützen die Grundrechte und z. B. bei der Meinungs- und Versammlungsfreiheit jegliche noch so abstrus erscheinende Meinungsäußerung, solange die sich (noch) auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung befindet. Wir gestalten unsere Arbeit transparent, erklären unser Handeln und legen Rechenschaft ab – ob in der Öffentlichkeit, gegenüber den Medien, vor Gericht, den Datenschutzbeauftragten, dem Rechnungshof oder sonstigen öffentlichen oder privaten Institutionen mit berechtigten Interessen. Auch das ist gelebte Demokratie. Das mag manchmal anstrengend sein, aber wie bereit Winston Churchill sagte: „Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.“
Und deswegen nun zu einem weiteren wichtigen Punkt, der Feststellung, „Was“ wir tun, um unseren Purpose zu erreichen: Wir investieren in unsere Beamt*innen. Wir investieren in Bildung und Weiterbildung, wir stärken die demokratische Resilienz unserer Mitarbeitenden. Dazu gehört neben dem Investment in Bildung, auch die in sozioemotionale Fürsorge, in professionelles Debriefing und Reflexionsmöglichkeiten.
Fazit
Der Dreiklang des „Warum“, „Wie“ und „Was“ kann bei solchen Reflexionen helfen, die Notwendigkeit mancher Handlung zu erklären: Wir schreiben uns teilweise die Finger mit Berichten wund, weil wir in einem Rechtsstaat leben, der Regeln hat, der berechtigt hohe Anforderungen an Tatnachweise hat. Wir beantworten immer, wenn auch manchmal haltlose, Beschwerden von Bürgern, wir sind auf sozialen Medien aktiv und sind 24 Stunden ansprechbar, weil wir eine transparente Polizei für unsere Bürger*innen sind. Wir legen besonderen Wert darauf, dass unsere Mitarbeiter*innen fest mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und investieren deshalb so viel in hochwertige Aus- und Fortbildung.
Man kann so auch deutlich machen, warum es wichtig ist, wie wir mit und über Menschen sprechen. Warum es ein riesiger Unterschied ist, ob ein Nicht-Polizist in einer privaten Chatgruppe einen geschmacklosen Witz teilt oder dieser von Polizisten*innen in einer polizeibezogenen Chatgruppe geteilt wird. Denn wenn wir ein Anker der Demokratie sein wollen, müssen wir deren Prinzipen leben, Vorbild sein – und die Unantastbarkeit der Würde des Menschen muss folglich stets oberste Prämisse sein.
Die Überlegungen, was der tiefste, ursprünglichste „Unternehmenszweck“ ist, der die Existenz begründet, ist also von besonderer Bedeutung und ist im Kontext mit den Organisationswerten essenziell, um die Sinnhaftigkeit von Entscheidungen und Anforderungen argumentativ zu verdeutlichen. Und was gäbe es für einen schöneren Purpose, der Menschen „abholt“, der als Leitbild und Orientierungspunkt des moralischen Kompasses dienen kann, als sich als Anker der Demokratie in unserer Gesellschaft zu verstehen.
