Das Arbeitszeitrecht hat mich seit meiner Dissertation nicht mehr losgelassen. Daher möchte ich auch in diesem Thema am Ball bleiben und habe mich mit einem aktuellen Urteil des OVG Münster vom 13.02.2020 (1 A 1512/18) auseinandergesetzt. Wenn man sich allerdings viel mit Arbeitszeitrecht beschäftigt hat, muss man auch bei diesem Urteil feststellen, dass darin keine großen Überraschungen stecken, wenn es um die Themen Ruhezeit und Arbeitszeit geht. Trotzdem möchte ich dieses Urteil aufgreifen und ein paar wesentliche Eckpunkte skizzieren, da meine bisherigen Veröffentlichungen zur Arbeitszeit in Fachzeitschriften erfolgt sind, die nicht so leicht zugänglich bzw. teilbar sind. Außerdem scheint es bezüglich der Begrifflichkeiten immer noch Unklarheiten zu geben, sonst gäbe es auch dieses Urteil nicht 😉 .
Ob ich hier zum Thema Arbeitszeit weitere Artikel verfassen werde, hängt davon ab, wie oft diese Seite gelesen, gelikt1Der Duden hat sich dafür entschieden, der Einfachheit halber nach einem strikten Schema zu verfahren und bei Eindeutschungen dieser Art die für die deutschen Verben geltenden morphologischen Regeln auch dann anzuwenden, wenn ein im Hinblick auf die Aussprache irritierendes Schriftbild entsteht. Die Grundregel lautet für die Partizipien schwacher Verben: ge + Wortstamm + t. Bei »liken« sehen wir als Wortstamm »lik« an, was darauf zurückgeht, dass normalerweise der Stamm eines Wortes durch Abtrennung der Flexions- oder Wortbildungsendungen ermittelt wird (wie z. B. aus liking = lik + ing).Nach diesem Muster haben wir schon eine Reihe von Festlegungen getroffen: neben »faken, gefakt« und »tunen, getunt« auch beispielsweise »canceln, gecancelt«, »timen, getimt«, »checken, gecheckt« und »managen, gemanagt«. Und entsprechend empfehlen wir auch »gelikt«.Es ist uns klar, dass man »gecheckt« leichter akzeptieren kann als »gelikt«, aber wir halten es für eine entbehrliche Verkomplizierung, hier unterschiedliche Lösungen anzubieten.Dr. Werner Scholze-Stubenrecht, Leiter der Dudenredaktion, Quelle: https://www.korrekturen.de/nachgefragt/gelikt_geliket_oder_geliked.shtml (das Herzchen unter dem Titel), geteilt oder kommentiert wird. Genug der Vorrede – direkt ins Thema und zu den mE zwei wesentlichen Leitsätzen:
Leitsatz
Ruhezeit und Arbeitszeit sind nach dem Grad der Autonomie des Arbeitnehmers bei der Wahl seines Aufenthaltsorts und der Gestaltung seiner Zeit abzugrenzen.
Für jeden, der sich mit der EU-Richtline 2003/88/EG beschäftigt hat, ist dies nichts anderes als Art. 2 Nr. 1 und 2 besagter Richtlinie, die bereits hinreichend durch Urteile des EuGH23. Oktober 2000, C-303/98 (SIMAP); 9. September 2003, C-151/02 (Jaeger); 1. Dezember 2005, C14/04 (Dellas), 10. September 2015, C266/14 (Federación de Servicios Privados del sindicato Comisiones obreras), 21. Februar 2018, C518/15 (Matzak) sowie die Euopäische Kommission3Europäische Kommission(2017). Mitteilung zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 24.05.2017 (2017/C 165), Brüssel. ausreichend inhaltlich konkretisiert wurden. Zusammenfassend kann man sagen, dass Ruhezeit im Gegensatz zur Arbeitszeit steht. Entscheidendes Kriterium zur Abgrenzung ist, inwieweit der Arbeitnehmer seinen Aufenthaltsort und damit untrennbar verbunden die Gestaltung seiner Zeit selbst bestimmen kann. Je weniger Autonomie über Ort und Gestaltung, desto eher ist diese Zeit als Arbeitszeit zu qualifizieren. Diese Einordnung kann durchaus abgestuft vorgenommen werden:
Rufbereitschaft
Rufbereitschaft ist grundsätzlich Ruhezeit, da sie grundsätzlich mit einem hohen Grad an Autonomie verbunden ist. Je enger aber räumliche als auch zeitliche Vorgaben (z.B. bis zum Eintreffen auf der Dienststelle) werden oder aber, wenn es mit einer prognostisch verlässlichen Regelmäßigkeit zu Alarmierungen kommt, muss eine Rufbereitschaft als Bereitschaftsdienst gewertet werden.4vgl. ausführlich dazu Alberts, Cornelia; Bürger, Bernd (2018). Die Arbeitszeitrichtlinie der EU und ihre Auswirkungen auf die polizeiliche Praxis. Die Polizei, 109, S. 223; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 26.06.2013 – 4 S 94/12
Bereitschaftsdienst
Bereitschaftsdienst bedeutet, dass sich der Beamte an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort aufzuhalten hat und zur Verfügung stehen muss, um erforderlichenfalls seine Leistung zu erbringen. Dabei spielt die tatsächliche Arbeitsleistung überhaupt keine Rolle. Auch wenn der Beamte an einem vorgegebenen Ort schläft, aber jederzeit zur Leistung abgerufen werden kann, ist dies unzweifelhaft Bereitschaftsdienst (also bspw. jeder Beamte vom Dienst, der in Diensträumlichkeiten bleiben muss). Maßgeblich ist lediglich die Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort zur Verfügung zu halten. Die räumliche Autonomie und entsprechend die der freien Zeitgestaltung sind erkennbar eingeschränkt. Bereitschaftsdienst ist im Hinblick auf den Arbeitsschutz als Arbeitszeit zu bewerten. Im Hinblick auf den Freizeitausgleich oder gar die Auszahlung dieser Arbeitszeiten ist die juristische Bewertung allerdings ein wenig komplexer. Auch in diesem Bezug verfestigt das aktuelle OVG-Urteil die bisherige Rechtsprechung. Diese Thematik könnte bei Interesse in einem weiteren Artikel vertieft werden.
Arbeitszeit
Nach Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ist Arbeitszeit jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt. Dazu zählt neben dem, was wir uns unter klassischer Arbeitszeit vorstellen, also einer konkreten Tätigkeit für einen Arbeitgeber, eben auch der Bereitschaftsdienst, das „zur Verfügung stehen“ mit eingeschränkter Autonomie.
Wer bis zum möglichen zweiten Teil dieses Artikels ein paar Grundsätze zum Thema nachlesen will, dem sei der Beitrag von Richterin Cornelia Alberts und mir in „Die Polizei“ empfohlen. Diesen findet man online (leider nicht ganz günstig), außerdem sollte die Zeitschrift in vielen Behörden im Umlauf sein.